Paradoxon


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Posted by Scarlett on March 05, 1998 at 01:12:26:

Hi Team !

Wir werken hier also am Meinungs- und Gedankenaustausch über "Liebe via Internet".
Erstmal Kompliment an die Gastgeberin - ein schier unerschöpfliches Thema, zu dem
jede(r) etwas beitragen und genauso auch Einblick und Einsicht dazugewinnen kann.

* freu *

Alma's Beitrag hat mir die wahre Herzensfreude gemacht, ihn zu lesen. Es stimmt !
Die Sympathie und genauso die Antipathie, die im Chat erlebt wird, ist fast immer
auch auf eine reale Begegnung bezogen, stimmig.
Wie aber entsteht dieser Eindruck ? Was kann man von sich geben, um den anderen
(Menschen = gleichermaßen Mann wie Frau gemeint) zu erreichen und ansprechend auf
ihn zu wirken ?

Alma hat es schon erwähnt - bei Begegnungen im Netz fehlen die vielen Sinneseindrücke,
die ich gewohnterweise zur Einschätzung meines Gegenübers heranziehe.

Was fehlt, sind die Mimik ( wofür Smileys ein magerer Notbehelf sind ), die Stimmlage,
das Timbre, der Blick durch die Augen in die Seele des anderen, begleitende Gesten,
die Körpersprache und kleine Flechtwörter, die nicht den Gedankengang des anderen
unterbrechen, sondern helfen, das Verständnis in einer Unterhaltung laufend zu justieren.

Was bleibt, ist die Wortwahl, die Ausdrucksweise, um spontanes Empfinden, und auch
wohlüberlegte Gedanken - vielleicht gepaart mit Wortwitz und Charme zu offerieren.

Die Seele im Kerker der Buchstaben ?

Genau hier setzt das Paradoxon ein, das mich sosehr fasziniert an der Cyberei. Ich glaube,
gerade WEIL wir alle in dem Medium Internet auf das Wort reduziert sind, ist der Zugang zum
Seelenleben direkter, als in realen Kontakten. Der Ballast des Alltags fällt von mir ab, im
Netz fühle ich mich frei von den Mühen der Lebensbewältigung. Hier ist Raum für das Ausleben
der Wesenszüge, die in der gesellschaftlich genormten Weltordnung zu kurz kommen. Raum für
Phantasie und Wünsche, für Sehnsucht und Nähe - Raum für die Liebe.

Gleichzeitig hilft die Filter- und Schutzschildwirkung des Monitors, sich hervorzuwagen - ein
Risiko einzugehen und Vorsichtsmechanismen über Bord zu werfen. Freilich zeigt man selbst nur
Facetten des Ganzen - genauso, wie man auch den seelischen Extrakt eines anderen erlebt. Ein
guter Nährboden für den Wunsch, Kontakte zu vertiefen - aber genauso auch ein spiegelglattes
Parkett, auf dem sich zu bewegen ein Kunststück ist.

Wie schützt man sich vor Enttäuschungen ? Kann man das überhaupt ? Ich glaube : nein, man kann
sich nicht zuverlässig schützen - es sei denn mit Hilfe des Einschätzungsvermögens.

Aber das ist wieder ein eigenes Thema....

* smile *

Scarlett



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