zu: Yin und PeterPan - Thema Praxis !


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Posted by Richard West on May 02, 1998 at 10:27:17:

In Reply to: Schließe mich solidarisch an! posted by PeterPan on May 02, 1998 at 07:40:09:

Liebe Yin, lieber PeterPan,

Ihr verlangt eine Sache, die ich für schädlich halte: vorgekaute Lösungen sind eher keine. Jeder von uns sollte seinen Weg selbst finden und nicht erwarten, dass andere eine allgemeingültige Lösung für so komplexe Probleme auf dem Silbertablett liefern können (oder auch nur wollen). Möglichkeiten der Einflussnahme sind reichlich und vorhanden, und wenn ihr auch nur einen Moment nachdenkt - wozu man nur Zeit hat, wenn man endlich keinen Freiraum mehr damit verbraucht, seine eigene (angebliche) Hilflosigkeit demonstrieren zu wollen -, kommen euch die Ideen ganz von selbst.

Da ich aber zwar keine Notwendigkeit verspüre, meine eigenen Sätze mit einem "Handlungsberechtigungsschein" untermauern zu müssen, andererseits aber meine Initiativen dazu geeignet sind, euch und/oder andere Leser auf die eigene Version zu bringen, werde ich versuchen, ein paar meiner Versuche der Zukunftsgestaltung zu veranschaulichen. Wohlgemerkt: Weder halte ich diese Ansätze für allgemeingültig, noch will ich darüber diskutieren, ob das nun jeder so machen könnte oder sollte. Nur ein Ausschnitt aus MEINER Version - nicht mehr aber auch nicht weniger:

1. Ich verwende viel meiner wenigen freien Zeit darauf, mich mit allen Themen zu befassen, die meiner Ansicht nach in das Konzept Zukunft gehören. Information durch verschiedene Medien und Analyse sind ein haufen gedanklicher Arbeit. Damit ausgerüstet versuche ich, keiner dieser Diskussionen aus dem Wege zu gehen (ob hier oder anderswo) und meine Gedankenansätze aktiv einzubringen. Das macht andere bewusster und hilft mir, meinen Standpunkt regelmässig überprüfen und erweitern zu können. - Sagt mir jetzt bitte nicht wieder, das seien nur Worte. Es ist viel mehr als das!

2. Weil es wichtig ist, den menschen in den strukturschwachen Ländern einen Lebensraum zu ermöglichen, der es ihnen erlaubt, zu Hause das Lebensminimum zu haben, statt in Migrationswellen an die angeblich seelig machenden Fleischtöpfe der Industrieländer zu strömen, habe ich zwei Patenschaften für Kinder in Peru (seit sechs Jahren) und in Nepal (seit einem Jahr) übernommen. Die nichtstaatliche Organisation "Ayuda en acción" (ähnliches gibt es in fast jedem Land) leistet in den entsprechenden bergdörfern ganze Arbeit, wovon ich mich persönlich überzeugen konnte: Wasserversorgung, Bildung, medizinische Versorgung, Hilfe bei der Landwirtschaft und vieles andere - immer als Hilfe zu Selbsthilfe. Strukturen werden erstellt, gelehrt, übergeben und dann erfolgt der Rückzug der Organisation, wenn das Projekt beendet ist. Ich helfe Ayuda en Acción (Adresse gebe ich auf Anfrage gern weiter) ab und zu auch mit meinen Kenntnissen im Thema Wasseraufbereitung.

3. Ähnliches gilt für meine Mitgliedschaft bei "Médicos sin fronteras" (heisst das auf deutsch auch "Ärzte ohne Grenzen"?)

4. Um aktiv dafür zu sorgen, dass das Thema mit der grössten Fehlbilanz - Umweltschutz! - ein Stück nach vorn kommt, helfe ich Greenpace und dem World Wildlife Fund (WWF), wo immer ich kann. Das muss gar nicht immer Geld sein. Es gibt eine Menge Möglichkeiten zur Teilnahme am Generationsvertrag, wenn man sich mit diesen (oder anderen Umweltschutzorganisationen) erst einmal in Verbindung gesetzt hat. Nur das muss man tun, statt die Verantwortung ständig auf die angebliche Unmöglichkeit zur Veränderung zu schieben. Beispiele würden hier wirklich zu weit führen. Aber auch da gilt: Wer sich wirklich interessiert, statt im eigenen Tränenhaufen zu versinken, weil das so bequem ist, dem helfe ich gern mit Adressen, Tel.-Nummern und real existierenden Aktionen weiter. ;-)

5. Einer Initiative "Pro Asyl", die ähnliche Zielsetzungen hat wie "Amnesty International" helfe ich ab und zu mit Übersetzungen und Medienpublikationen - ohne finanzielles Interesse versteht sich. Die sind sehr dankbar dafür und könnten noch jede Menge Hilfe gebrauchen, nicht nur in diesem Sektor. Auch hier gilt: siehe oben .....
Eine Organisation, die sich für die Einhaltung der Menschrechte einsetzt.

6. Einen Urlaub habe ich dazu benutzt, einer Favela (Slum: 4.000 Einwohner) in Nordost-Brasilien zu helfen, ein primitives, aber perfekt funktionierendes Abwassersystem zu bauen. Das ist lästig, schweisstreibend und man wird irgendwann resistent gegen Moskitos *smile* - zwei Wochen Mallorca ist oder Gran Canaria ist angenehmer, ich weiss.

7. Auf Lanzarote habe ich mit dem Tierschutzverein eine (für Inselverhältnisse) recht grosse Demonstration angezettelt, die die Inselregierung am Ende dazu gezwungen hat, dem Tierheim eine erträgliche bauliche Infrastruktur zu genehmigen und zu erstellen. Wir haben mit etwa 40 Hunden aus dem Tierheim zusammen bei einer genehmigten Demonstration nicht genehmigterweise das Büro des Inselpräsidenten gestürmt *smile* und eine enorme Medienpräsenz erreicht, die letztendlich zu handfesten Ergebnissen führte.

8. Vor den Atombombenversuchen des Herrn HirosChirac in der Südsee habe ich, zusammen mit meinem Partner, ein Schild ins Schaufenster gehängt: "Wir müssen, bevor wir in unserer Wut ertrinken, leider darauf verzichten, französische Kunden zu bedienen, bis die französische Regierung auf die unsäglichen Atombombenversuche verzichtet oder sie im eigenen Land stattfinden lässt. Wir sind uns darüber klar, dass diese Maßnahme gegenüber unseren französischen Kunden ungerecht ist, hoffen aber auf Verständnis!" Wir bekamen nicht nur das Verständnis der allermeisten (auch der Franzosen!), sondern (nach der entsprechenden Pressenotiz per Fax) eine enorme Medienpräsenz aus ganz Europa (von Stockholm über Budapest bis Mailand, einschliesslich aller spanischen Medien). Ein Hotel schloss sich an und nahm keine französischen Gäste mehr auf. Weitere folgten.
Ausserdem verklagten wir Herrn HirosChirac beim Europäischen Gerichtshof (das ist kostenlos für jeden EU-Bürger!), der uns am Ende, nach einem ordentlichen Verfahren, über das wir jederzeit informiert waren (Gesetz!), mit, dass eine Verurteilung keinen Platz hat, weil die französische Regierung demonstrieren konnte, dass sie alle Vorsichtsmassnahmen getroffen hat, um zu vermeiden .... blablabla ..... Das Ergebnis ist bekannt. Wehe, jetzt kommt irgendjemand auf die Idee zu antworten, da sehe man es wieder, es habe ja doch alles nichts genützt. So jemanden vergesse ich auf der Stelle - versprochen! Schon weil das die eigene Untätigkeit nur rechtfertigen soll und zementiert, und weil solche Aktionen enorm geeignet sind, Bewusstsein für die nächste Schandtat zu schaffen. Übrigens hat Herr HirosChirac das Atomtest-Abkommen letztendlich nun doch unterschreiben müssen, wenn auch sehr spät und nach einem weiteren kriminellen Akt gegen die Menschheit.

9. In meinem Magazin "Kaktus", der zugehörigen Radiosendung und der kleinen Nachrichtenagentur CIDnews nehmen wir niemals ein Blatt vor den Mund. Das hat uns, unternehmerisch gesehen, schon viel Geld gekostet, muss aber sein. Welche Alternative gäbe es? Unzählige Male hat man von verschiedenen Seiten versucht, uns einzuschüchtern oder auf die eine oder andere Weise zu kaufen. Niemandem ist es bisher gelungen, uns mundtot zu machen.

... ich halte es für müßig, diese Aufzählung weiterzutreiben, die ich fast beliebig verlängern könnte. Ihr wolltet praktische Vorschläge. Nun, jetzt habt ihr ein paar. Es gibt noch mehr Menschen, die das Steuer lieber selbst in die Hand nehmen, statt dem Kapitän immer nur mit entsetztem Gesicht über die Schulter zu schauen und Klagelieder anzustimmen, in die die träge Masse allzu gern einfällt. Möglichkeiten dafür gibt es zuhauf. Und warum nicht ein Demonstrationsaufruf über Internet, Peter? Versuch es doch! Wenn es beim erstenmal nicht funtionierte, klappt es vielleicht bein 10. Mal. Wer persönliche Anliegen verwirklichen will, muss Unbequemlichkeiten, Zeiteinsatz und die Tatsache in Kauf nehmen, dass er sich nicht überall beliebt machen wird. Das ist unausweichlich so. Aber das Ziel lohnt den Einsatz - IMMER!

Noch einmal: Es ging mir keinesfalls darum, mit dieser Intervention die eigen Grossartigkeit zu demonstrieren. Ich verstehe aber, wenn jemand praktische Vorschläge möchte, um sich dann hoffentlich zu beteiligen am Bau einer besseren Zukunft kommender Generationen. Das allein war der Zweck.

Sollte nun aber jemand auf die Idee kommen, meine REIN PERSÖNLICHEN AKTIONEN rhetorisch auseinandernehmen zu wollen, ohne Eingeninitiative einzubringen (und ich bin ganz sicher, dass das passiert), kann er mit meiner Antwort nicht mehr rechnen - mit meiner Trauer (wegen des Allgemeininteresse) und Verachtung (wegen seiner betonierten Bewusstlosigkeit) dagegen sehr wohl.


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