Das Thema hatten wir ja noch nie: SEX ! ;-)


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Posted by Richard West on November 07, 1998 at 22:57:28:

Warum macht Sex Spaß ?

Aus der Sicht des Gorillas sind die Menschen wirklich schamlos. Sie haben Sex mitten im Jahr, unabhängig davon, ob ihre Weibchen gerade fruchtbar sind oder schon schwanger. Der Gipfel aber ist: Sie ziehen sich zurück und machen's im Geheimen (zumindest die meisten *smile*), anstatt vor ihren Artgenossen, so wie jedes anständige Tier.
Im Unterschied zu seinem Evolutionsnachfolger, dem Menschen, kann der Menschenaffe nicht frei über sein Sexualleben entscheiden: Er gehorcht blindlings seinen genetisch festgelegten, inneren Programmen. So sammelt der Gorilla einen Harem von mehreren Damen um sich, paart sich aber mit jeder einzelnen nur dann, wenn sie, unübersehbar durch Schwellungen am Hinterteil, Bereitschaft signalisiert. Mehr als einmal im Jahr, sagt der Gorilla-Forscher Jared Diamond, kommt das Gorilla-Paar kaum zusammen.
Der kalifornische Evolutionsbiologe und Professor für Physiologie geht der Frage auf den Grund: Wie konnte es dazu kommen, daß der Mensch im Unterschied zu den anderen 4300 Säugetierarten Sex von der Fortpflanzung trennte und so aus dem dem biologischen Impuls zur Reproduktion eine lustvolle Angelegenheit wurde?

Vor fünf Millionen Jahren, sagt Jared Diamond, haben sich die Stammbäume der Schimpansen, Gorillas und unserer Vorfahren voneinander abgespalten. Danach ist es geschehen: In dem großzügig kalkulierten Zeitraum von zwei Millionen Jahren bis 100 000 Jahren vor unserer Zeit geschah beim Menschen der Sprung zum Sex, der unabhängig vom Eisprung stattfindet. Diese Entwicklung war zwangsläufig, denn die raffinierte Menschenfrau ging an diesem Punkt der Evolution zur verdeckten Ovulation über: Der genaue Zeitpunkt des Eisprungs war nun nicht nur vom Mann, sondern sogar von ihr selbst nicht mehr präzise festzustellen. Keine Signalfarbe, keine Schwellung, kein zwingender Ruf der Natur.

Der versteckte Eisprung löste die Sexualität vom Trieb. Evolutionäre Errungenschaften wie etwa relativ weit verbreitete Monogamie und gemeinsame Kinderaufzucht wurden so erst ermöglicht. Wenn der
Mann, sagt Diamond, eine Chance haben will, die Frau zu befruchten, muß er so oft wie möglich in ihrer Nähe sein, um sie ständig zu bewachen und andere Männer von ihr fernzuhalten. Und er muß an möglichst vielen Tagen mit ihr schlafen. Im Sinne der Weitergabe von Genen eine weise Entscheidung, für die ihn allerdings die Aussicht auf ein Vergnügen in Form sexuellem Lustgewinns motivieren muß. Diese Deutung steht in Wissenschaftskreisen derzeit hoch im Kurs. Und das zu einer Zeit, da sich Sex und Reproduktion immer mehr voneinander abspalten.

Dean Hamer, Leiter des Geninstituts in Washington/D.C., ist davon überzeugt, daß es der Spaß war, der das Überleben der Art Mensch sicherte. Seiner Ansicht nach sind die Gene dafür verantwortlich. Sie bestimmen den Menschen in der Weise, daß nicht ein höherer Sinn für eine Berufung oder ein Pflichtgefühl, die menschliche Rasse aufrechtzuerhalten, ihn zur Fortpflanzung motivieren, sondern der Spaß am Sex.

Ist also alles nur eine Frage der Gene und die Lust ein Trick der Natur? Erwin Haeberle, Leiter des Archivs für Sexualwissenschaften am Robert-Koch-Institut in Berlin, widerspricht. Nach seiner Auffassung ist das Sexualverhalten des Menschen zu 98 Prozent kulturell bedingt. Wo der Biologe von Eisprung und Aufzucht spricht und damit glaubt, die Sache hinreichend erklärt zu haben, fangen die Schwierigkeiten der Verfechter der Kultur-These erst an. Warum entstand im 4. Jahrhundert in Indien mit dem Kamasutra ein Lehrbuch der Liebeskunst? Was motivierte den Menschen, tantrische Regeln zur Verfeinerung des sexuellen Empfindens aufzustellen? Der Spaß, so wird deutlich, ist auch eine kulturelle Vermittlungsleistung. Sex beim Menschen ist Erotik und Emotion. Spaß im Bett kann erlernt und eingeübt oder verlernt oder verdorben werden.

Ob Schimpansen wirklich keinen Spaß am Sex haben, da ist sich Jared Diamond gar nicht so sicher. Schließlich stimmen 98,4 Prozent der Erbmasse des Schimpansen mit der des Menschen überein. Außerdem, so Diamond, ähnele der Gesichtsausdruck des Schimpansen beim Sex dem eines Menschenmannes in gleicher Lage. Und die Schimpansin wirke bisweilen ganz begeistert von dem Liebesspiel.

Sicher aber ist, daß der Mensch von allen Lebewesen die größte sexuelle Vielfalt kennt. Er ist zärtlich oder von Verlangen getrieben, er langweilt sich oder wird von Ekstase überwältigt, er flüstert Schweinereien, er spielt oder spielt vor. "Spaß" ist dafür wohl eine zu eng gefaßte Kategorie, ODER ???

Buchtip zum Thema: Jared Diamond: "Warum macht Sex Spaß? Die Evolution der menschlichen Sexualität", C. Bertelsmann, München, 191 Seiten, 36,90 DM.


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