Das Vergessen und seine Eigenschaften ...


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Posted by .... .... on March 12, 1998 at 17:26:53:

Vergessen ...

Wir vergessen viele Dinge : Termine, Namen, Zahlen. Soweit so gut, nur dummer Weise hat das Vergessen eine fürchterliche Eigenschaft : Man vergißt immer das falsche. Zumindest mir geht das so. es gibt Dinge, die möchte ich möglichst schnell vergessen, wie z.B. meinen schweren Verkehrsunfall und den anschließenden Krankenhausaufenthalt, den (Drogen-)Tod meines besten Freundes und die Wochen danach oder diese eine Person, die auf den Namen Julia hört. Doch irgendwie schaffe ich es nicht. Leider. Und wenn ich dieses schon nicht vergessen kann, dafür aber die Primzahlen über 100, die Definition des Partizip Perfekt Passiv, den Grund für die letzte Steuererhöhung oder ähnlich weltbewegende Dinge, dann möchte ich es wenigstens verarbeiten. Und um etwas zu verarbeiten muß man es erst einmal erfassen und vor allem verstehen. Dieses ist genau dieser Versuch, ein Versuch, einen Schlußstrich unter eine lange Geschichte zu ziehen.

Diese Geschichte begann im Jahre 1993. In diesem Jahr eröffnete ein Freund meiner Eltern ein Computergeschäft mit einem zuerst kleinen Internetcafe in unserer Stadt. Ich war damals schon einer dieser nach Technik verrückten Kids, die stets vor der Flimmerkiste hockten und zusahen, daß sie Pixel zum Laufen brachten, mich interessierte schon immer die Herausforderung des Neuen, das Unbekannte, das Erforschbare. Ich war ein Nerd und ich liebte es, anders zu sein, als es die Masse war. Ich fühlte mich wohl, wenn kopfschüttelnd anderer meiner „Verdummung" zusahen, während ich an der Blue Box saß und versuchte, selbige selige endlich zu laufen zu bringen. (Was nebenbei gesagt ein hoffnungsloser Versuch war und nie gelang, weil wir damals schon digitale Netze in unserer Stadt hatten.) So kam es, daß besagter Freund meiner Eltern mich anstellte, ich hatte einen netten kleinen Job, ging nach der Schule ins Café, zeigte Neulingen das Internet, lernte selbst dazu, machte meine Hausaufgaben und saß zum Schrecken meiner erzkonservativen Eltern noch mehr vor den viereckigen Kästen. Eine neue Welt tat sich auf, ich fand neue Freunde, gleichgesinnte Nerds, Freaks, wir wurden vielfältig beschimpft. Wir waren jung und die Welt war voller Blumen für uns. Eine wohlbehütete und selige Kindheit, so schien es. Doch so war es nicht. Vielmehr kam ich schnell auf chats, gelangte in die euphorische Phase der Maßlosigkeit, die wohl jeder ernsthafte chatter bis zur ersten Telefonrechnung einmal durchmacht. Da bei mir aber eben keine Telefonrechung kam, ging diese Phase auch nicht so schnell vorbei. Im Gegenteil, viele Monate lang waren 80h / Woche keine Seltenheit, hielten wir Sessions ab, programmierten 37 h nonstop, chatten usw.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Anfang 1994 hatten wir in der Coderscene eine der bekanntesten deutschen Gruppen, unsere Website mit diversen Hackz hatte knapp 6500 Hits im Monat und wir fühlten uns wie Könige auf dem goldenen Thron König Midas`. Im WWW und Gopher waren wir zu Hause, fühlten uns wohl. Wir meinten, unsere Destination gefunden zu haben. Doch mir ging es schon längst nicht mehr so gut, wie ich vorgab. Dieses war die Zeit, in der ich anfing, Andere zu belügen, wenn es um mich ging. Ich log, wenn ich gefragt wurde, wie es mir ginge, ich log, wenn ich sagte, was ich wollte, ich spielte eine Rolle, die des immer gutgelaunten Partylöwen, der stets bei Feiern präpubertierender Kiddies der erste war, der kam und der letzte, der ging... wenn ich dann noch stehen konnte. In dieser Zeit habe ich sehr exzessiv gelebt. Ich habe harte Drogen genommen, jedes Wochenende gefeiert bis der Notarzt kam und mehr Mist gebaut, als so manch ein Anderer im ganzen Leben wird. Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten. Nach einem Abrutsch von einem Notendurchschnitt von 2,... auf 4,... mußte ich das Gymnasium verlassen, eine Klasse wiederholen und machte meinen Realschulabschluß mehr schlecht als Recht. Danach wurde ich nach England mehr oder minder abgeschoben, wo ich bei einem Fernsehsender zu einem noch verrückteren Freak ausgebildet wurde und noch tiefer in technische Dinge reinrutschte - und LSD kennenlernte. Als ich nach zwei Jahren nach Deutschland zurück kam (Anfang 1996, ich war 18 Jahre alt), war ich fertig wie nie zuvor. Zu dieser Zeit hatte ich zwei Suizidversuche hinter mir und ein dritter sollte Sylvester 1996/97 noch folgen. Nicht nur dieses aus Verzweiflung, vielmehr auch aus Unlust, gar Unwillen, sich weiter, auch vor sich selbst ob dessen, was man geworden war, zu rechtfertigen, aus dem Gefühl heraus, deprimiert zu sein ob dessen, was man - sprich ich - war. So ging das eine ganze Zeit lang, ich lebte in den Tag, besuchte das technische Gymnasium, lebte mehr im Internet Café, welches mittlerweile Dank des einsetzenden Internet Booms in die Innenstadt gezogen war, als zu Hause, was wiederum die Laune der Eltern äußerst negativ beeinflußte und den Willen, heimzukehren noch mehr verminderte, haßte mein Leben und änderte es doch nicht. Das Resultat war besagter dritter Suicidversuch, der nur scheiterte, weil ich zu feige war, um ... egal.

Nach dieser Situation traf ich sie im Chat. Sie - das war Julia. Diese eben genannte Sache war ganze drei Tage her, niemand hatte es wie die Male zuvor mitbekommen, niemand ahnte etwas von dem, was war. Ich war nach außen hin immer noch der, den alle mochten, der immer gute Laune hatte und der immer wußte, was man gerade verrücktes machen könnte. Nun, es war an einem verregneten Abend, das Café war leer und ich hatte bereits abgeschlossen und wollte nur noch einmal nach einem Chatter Ausschau halten, bevor ich heimgehen und mich schlafen legen wollte. Ich ging also in den Chat und wurde von Ihr angesprochen, ob ich Lust hätte, ein wenig zu plaudern. Sie war mir flüchtig bekannt, sie war das eine oder andere Mal in einem der Massenseps gewesen, in die sich die Stammchatter mittags zurückzogen, um den pöbelnden Kindern zu entgehen, die mit dem Auftauchen von T Online sich explosionsartig vermehrten. Auch dort war ich schon damals geradezu eine Institution, ich war bekannt als laute und gut gelaunte Person. Eines sei beiseite erwähnt, ich habe niemals ( und werde dieses auch niemals ) mit der Absicht gechattet, eine Person kennenzulernen, eine Beziehung anzufangen. Im Gegenteil, ich fand diese Typen, die in chats immer nur baggerten äußerst stupide, ich führte gerne einen Vergleich an mit Menschen, die versuchten, in einem Fleischereifachgeschäft einen PKW zu erwerben - sie wären einfach am falschen Platz, man wüßte ja nie, wer sein Gegenüber wirklich sei und wo sie oder er sei. Ich sah chatten als plaudern an, wollte mich erholen, ausspannen. Doch eben dieses ist mir nie gelungen, im Gegenteil, ich habe nur noch mehr nachgedacht, mir Probleme geschaffen, wo keine waren, was ohnehin eines meiner wenigen Talente ist. An diesem Abend nun war sie jedenfalls, die sonst recht fröhlich und äußerst frech auftrat recht schlecht gelaunt, sie erschien mir „fertig", geschafft, ratlos, traurig, in einem Worte melancholisch, wie ich es war. Und auch ich hatte keine rechte Lust auf small talk und Scherze. Ich kann aus Prinzip niemanden links liegen lassen, bei dem ich den Eindruck habe, daß es ihm oder ihr schlecht geht, wenn ich diese Person nicht gerade hasse. Das hat eben den Grund, daß ich selbst erfahren mußte, wie schrecklich es ist, niemanden zum Reden zu haben, wenn man jemanden wirklich dringend braucht. Das ist eine Situation, die ich niemanden gönne, nicht einmal meinen ärgsten Feinden, sofern ich denn jemandem feindlich gegenüber gesonnen sein sollte. Wir sprachen an diesem Abend noch sehr lange, als ich den Computer schließlich ausschaltete, ging ich lediglich heim, um noch zu duschen, bevor ich mich in den Bus zur Schule setzte. Am Abend dann trafen wir uns wieder im chat. Dieses war der letzte Schultag vor den Osterferien bei mir gewesen, sie hatte bereits Ferien. Was folgte, waren 14 Tage, in denen wir mehr miteinander sprachen, als ich jemals, von meiner Mutter abgesehen, mit einem anderen Menschen. Wir trafen uns mittags und trennten uns morgens. This won`t hurt I swear.

Wenn ich diesen Satz heute von Ihr höre, läuft es mir noch den Rücken kalt herunter. Metallica hat in einem Song, ich denke, er heißt „The Unvorgiven" diesen Satz jetzt auch verwandt, ich kann ihn nicht hören, ich muß dann immer flüchten, alleine sein. Ich rief an, es war spät abends, ich brauchte 15 Minuten, um auf meinem Handy die Nummer endlich zu wählen, so zitterte ich, ich fühlte mich, wie ein präpubertierender 12 Jähriger, der sich fragt, ob man mit Zungenküssen ein Mädchen schwängern könnte und einen großen Fehler befürchtete, es dann aber doch tun mußte, weil eine innere Stimme einfach danach verlangte. So rief ich also an. Es ging ihr Vater an das Telefon, es war fast 3 Uhr am Sonntag Morgen. Ich entschuldigte mich, ich sollte anrufen, war völlig perplex einen mit hessischem Akzent sprechenden, reiferen Mann zu hören und bekam einen Schweißausbruch. Die Situation klärte sich nach endlos scheinenden Sekunden, doch ich hatte schon den Kampf mit meiner Schüchternheit verloren - und sie wohl auch. Mehr als ein gekichere, diversen „äääh", „jaaa" , „mhmmm"`s kamen nicht heraus und nach 5 Minuten Gespräch ohne Inhalt, wußte ich, daß ich jetzt als Trottel darstand und nie wieder von ihr hören würde. Doch in dieser Nacht noch rief sie wieder an und so langsam wich bei uns beiden die Schüchternheit und nach einigen Tagen schafften wir es beide, am Telefon, wo wir nun unsere Stimmen hörten, so zu sein, wie wir auch im Chat zueinander waren : Ehrlich und vertrauensvoll. Und ich fing an, auch die Telefonate mit Ihr zu lieben. Sie rief immer öfter an und nun begann auch meine Umgebung, meine Eltern, meine Freunde und meine Kollegen zu erkennen, wo ich reinrutschte. Nur ich nicht. Denn ich wollte nichts anfangen. Der Grund dafür, daß wir überhaupt telefonierten, war eigentlich, daß sie meine Stimme hören wollte. Sie hat mich immer wieder in diesen Tagen bearbeitet, sie doch einmal anzurufen, um zu sehen, was für eine Stimme hinter dem Nicknamen stecke. Und als sie dann nach dem ersten Telefonat zurückrief wußte ich zum ersten Mal bestimmt, daß ich einen ganz besonderen Freund gefunden hatte. (Dieses sei mit Absicht platonisch, sprich androgyn ausgedrückt...)

So begann eine für mich zwiespältige Zeit, einerseits eine sehr glückliche und erfüllte und doch sorgenvolle und deswegen eben auch unglückliche Zeit. Ich war unheimlich froh, wenn ich mit Ihr sprechen konnte, versuchte, so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen, wenn ich sie auch nicht sah und sehen konnte. Ich wußte nicht einmal, wie sie aussah, ob sie schwarze oder blonde Haare hatte, ob sie schlank oder dicklich (wie ich damals) war. Es war einfach völlig unwichtig, denn es kam auf etwas ganz anderes an : die Konversation, der Gedankenaustausch.
Wir lasen uns gegenseitig Geschichten vor, Literatur, ersonnen ein eigenes kleines Märchen, sprachen ewig über Gedanken, Gefühle, Sehnsucht und Verlangen. Und all dieses auf einer Ebene des gesprochenen und unerklärten Wortes, welches dennoch verstanden wurde. Allein dieser Umstand, ohne ausschweifende Satzerklärungen sich rechtfertigen und erklären zu müssen, um verstanden zu werden, machte die ganze Sache so aufregend. Am anderen Ende war jemand, der einen verstand, allein dieses Gefühl, daß man nicht der einzige Spinner auf dieser Welt war, war unbeschreiblich erleichternd, beglückend und euphorisch stimmend, irgendwie geradezu Kraft gebend. Dann, ein paar Monate später begann die verhängnisvolle Zeit. Es war Ende April, sie hatte ihren 15. Geburtstag gefeiert und ich hatte Ihr Rosen geschickt, ein Zeichen des Dankes sollte es sein, für die vielen glücklichen Stunden. Nicht mehr und nicht weniger. Von meiner Umgebung im Internetcafe wurde dieses als Liebeserklärung aufgenommen, ich wurde belächelt, als pädophil bezeichnet und verulkt, da ich bereits 19 war und mußte mir von allen Seiten anhören, daß ich die Finger von ihr lassen sollte, weil ich nur ins Gefängnis kommen würde und sie erst Recht nicht gut für mich wäre. Sie wäre zu aufmüpfig, verbissen und extravagant. Das waren die Momente, in denen ich begann, nachzuschlagen, was Liebe eigentlich ist, wo ich mich und Andere fragte, wo Sympathie endet und Liebe beginnt, wo ich versuchte, meine Gefühle zu analysieren und festzuhalten, wo ich versuchte, ihr zu erklären, was ich empfand, sie bat, mir zu helfen, wieder Klarheit zu bekommen. Das war die Zeit, in der ich nur noch an und über sie (nach -) denken konnte, in der Schule, zu Hause, im Café keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, weil SIE mir im Gehirn umherspukte und die Schmetterlinge in meinem Bauch Polka tanzten. Und irgendwann sagte mir dann im Chat ein damals noch guter Freund, daß (dieses ist ein Zitat Paul Tillichs) Liebe „das unbedingte Verlangen nach Einigkeit des Getrennten" sei, sofern man Liebe eben rational erklären könnte. (Wäre Liebe rational vollständig zu erklären und ich bin nun einmal ein rational denkender und saturierter Mensch, dann wäre sie nach dieser Definition mit Sehnsucht gleichzusetzen !) Das war der Punkt, an dem ich wußte, daß ich sie entweder lieben oder hassen würde, daß die Grenze in eine Richtung definitiv überschritten sei, daß ich mich entscheiden und es ihr sagen müßte. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich wieder ins Auto setzen mußte, mir etwas Geld holen mußte und ein paar Tage zu verschwinden hatte. Das war der Zeitpunkt, an dem ich immer an einen Ort fuhr, wo ich alleine war, wo ich nachdenken konnte. Ich fuhr dann immer nach Wyk auf Föhr, wo mein Vater eine Ferienwohnung besaß, von wo ich dann nachts endlos lange Streifzüge startete, bis ich nicht mehr laufen konnte, wo ich den Menschenleeren Strand auf und ab wanderte, bis ich vor Wut, Trauer oder Schmerz am liebsten in die Fluten der Nordsee gesprungen wäre. Doch nichts hilft besser um einen klaren Kopf in der Pubertät zu bekommen, als kalte Nordseeluft am Strand. Ob es auch in der Midlife Crisis hilft, hoffe ich niemals erfahren zu müssen.

Nach drei Tagen Abwesenheit tauchte ich aus der Versenkung wieder auf und schrieb, kaum, daß ich wieder in der Stadt war, eine mail an sie, die mindestens doppelt so lang war, wie dieses Manifest. Wenn tatsächlich bis hierhin irgend jemand gelesen haben sollte, so gratuliere ich herzlich, doch dieses ist bei weitem nicht mein längstes Werk, ich bin ein Mensch, der immer monströs lange Texte schreibt, über deren Sinn und Unsinn man nächtelang sinnieren kann oder könnte, wohl kaum jedoch sollte.

Die Antwort ließ wie immer nicht lange auf sich warten und zwei Tage und etwa 5 mails später dann war es geschehen und wir sagte ES das erste mal am Telefon. Das war die Schwelle, die ich niemals hätte überschreiten dürfen, denn an diesem Punkt verlor ich meine beste und liebste Freundin, die ich jemals hatte. Und ich befürchte, daß ich niemals eine vergleichbare finden werde, weil ich einfach nicht bereit wäre, mir selbst einzugestehen, daß sie eben nicht diejenige sei, die das absolut höchste sei. Glorifizierung, Kitschigkeit, Liebeskummer par excellence.

Seit diesem Satz war es jedenfalls so, daß wir beide nicht mehr so ehrlich wie zuvor waren, daß ich z.B. und ich denke auch sie vermehrt darauf achteten, nichts falsches zu sagen, um den Anderen nicht zu verletzen, vorsichtiger und verschlossener wurden und das gegenseitig auch merkten ... es ging langsam aber sicher bergab und vor nunmehr 5 Monaten war es vorbei. Was folgte, waren Depressionen meinerseits ( sie hatte es beendet ) und einige Zeit Funkstille. Bitte verzeihen sie, daß ich den Punkt „warum" so sang - und klanglos überspringe, doch es gibt ihn einfach nicht. Ich habe sie niemals betrogen oder dergleichen, obwohl wir niemals miteinander schliefen, wozu wir uns eh viel zu selten sahen, ich hatte kein Verlangen in der Zeit, ich war persönlich glücklich und blind vor Liebe, für mich zählten die Gespräche, die verbalen Zärtlichkeiten mehr als alles andere, ich war, wie ich wohl nie mehr danach war und nie wieder sein werde. Wir alle entwickeln uns weiter - oder zurück. Doch einen Grund, einen plausiblen und akzeptablen, hat sie niemals genannt. Es gibt wie gesagt wahrscheinlich auch keinen und so sehr es mich auch interessiert, ich werde nicht danach bohren, Gefühle sind nun einmal irrational.

Ist es Ihnen auch schon einmal aufgefallen, daß viele Beziehungen nach Ihrem Ende von dem einen Extrem der Gefühle, mit dem sie begannen, in das andere umschlagen, daß man versucht, den Kontakt zu vermeiden, daß es einem unangenehm und peinlich ist, mit dem Ex zu reden, man sich beschimpft, belügt oder einfach keine Lust mehr hat, mit ihm oder ihr zu sprechen ? Nun, das ist natürlich, es ist eine Konfrontation mit der eigenen und wohl entgültigsten aller Entscheidungen, die man nur allzu gerne scheut, besonders, wenn man sich eben neu verliebt hat. Bei „uns" ist das anders. Nun, ich liebe sie immer noch und ich habe ehrlich gesagt die Hoffnung aufgegeben, daß sich das jemals ändern wird, was vielleicht auch daran liegen mag daß ich nicht gewillt bin, andere Menschen kennenzulernen, was die Ebene, die eben tiefer, als Gespräche anbelangt, geht und daran, daß noch keine Andere den Vergleich mit Ihr standzuhalten schien. Diese Beziehung war schon aufgrund der 562 Km zwischen uns nicht normal und ich werde auch wohl nie einen normalen Schlußstrich ziehen können, wir sind immer noch wirklich gute Freunde, telefonieren stundenlang und schreiben mails, es ist de facto wie früher, nur, daß dieser eine ominöse Satz nicht mehr fällt... der Satz, der so grausam sich im Kopfe einprägt und doch so viel Gefühl und Zuneigung ausstrahlt, der Satz mit der Liebe. Wir waren uns so nah und doch so fern, es war eine Beziehung, die sich fast ausschließlich verbalkommunikativ abspielte, was sie einerseits geradezu perfekt und doch wieder extrem grausam machte, weil es eben doch nur die Wand war, an die man sich vor Sehnsucht kuschelte oder das Kissen, das man in den Arm nehmen konnte. Auch heute noch erzählen wir uns - und das inzwischen wieder ehrlich wie zu Beginn dieser Freundschaft - von unseren Sorgen, Ängsten und Gefühlen, sprechen über Dinge miteinander, über die zumindest ich von mir sagen kann, ich mit niemanden anders bespreche. Und ich muß zugeben, daß mich ihre Ehrlichkeit und Ihr Vertrauen quält. Sie ist immer noch die Person, die ich so liebte und liebe, sie hat sich, auch wenn sie mich noch so mit Ihren Geständnissen, daß sie für einen meiner besten Chatfreunde schwärmt, ihm das auch gesagt hat, er jedoch eine andere liebt und ihr absagte, verletzt, wenn sie mich auch noch so mit Ihren Berichten über Affairen oder Drogen- und Alkoholexzessen auf Parties an Wochenenden (was ich inzwischen Dank ihr eingestellt habe) quält und in Sorge um sie stürzt und nach dem Auflegen zum schreien bringt, immer noch nicht geändert und genau deswegen liebe ich sie so sehr. Und sie bringt mich genau so in ein ungeheures Dilemma. Wenn ich den Kontakt komplett abbrechen würde, was das einzig richtige wäre, um sie zu vergessen, würde ich mich noch schlechter fühlen, das weiß ich, weil ich weiß, was für einen wunderbaren Menschen ich verlieren würde, würde ich ihr aber sagen, wie ihre Rat Suche und Ehrlichkeit, mit der sie mich ehrt, verletzt, würde sie es mir eben nicht mehr sagen und ich würde mir noch mehr Sorgen um sie machen. Egal, welchen weg ich wählen würde, es wäre der falsche, das weiß ich und deswegen alleine schon schweige ich und lasse es so weitergehen ... und gebe mich dem Schicksal hin und hoffe, daß etwas noch einmal beginnt, von dem ich weiß, daß es nie wieder beginnen kann ...

Ein paar Worte noch zum Abschluß, als quasi Postskriptum unter ein Manifest, welches ohne Namen hier nun steht, weil ich nicht Kraft genug besitze, zu meinem Namen zu stehen :

Nein, ich habe dieses NICHT verfaßt, um Mitleid zu erhaschen, jemanden zu rühren (eventuell sogar SIE) oder Ratschläge einzufordern. Von letzterem bitte ich sogar ausdrücklich abzusehen, wirklich, ich bitte darum !

Ich habe es hier und nicht in dem Nachrichtenboard von 1&1 geschrieben, weil ich weiß, daß sie nicht hier ist, doch aber eine Person, die mich kennt und die ganze Geschichte doch nun einmal erfahren sollte und darf. (gianna...nun kennst Du alles... ) Ich arbeite mittlerweile in einem der größten regionalen Zeitungsverlage Deutschlands als technischer Leiter und besuche nebenbei das Abendgymnasium, wo ich nun mein Abitur nachmache, dieses sei am Rande vermerkt, trotz oben genannter Fehler gibt es für jeden immer einen Weg, sich durch harte Arbeit wieder hochzuarbeiten, ich möchte damit, falls es jemanden in ähnlicher Situation wirklich gibt, Mut machen, nicht aufzugeben.

Suffer is the wrongest of any possible ways.

Geschrieben habe ich all dieses, das sei noch einmal ausdrücklich erwähnt, weil ich selbst das Erlebte endlich verarbeiten möchte und aus keinem anderen Grund. Ich möchte endlich mit mir selbst ins Reine kommen, ich habe monatelang die Nächte wach gelegen und nachgedacht, dieses ist nun einfach der Versuch, es durch aufschreiben endlich zu begreifen - ein geschriebenes Wort ist nun einmal ein Wort, über welches man doppelt nachdenkt. Und wenn irgend jemand tatsächlich bis hierhin gelesen hat, so entschuldige ich mich herzlichst, daß ich kein besseres Motiv liefern konnte und hoffe, daß es die Zeit wenigstens ansatzweise wert war.
Als allerletztes ein paar Worte noch zu meinem Namen : Ich trage keinen. Sicherlich habe ich einen relativ bekannten Nicknamen, doch möchte ich einfach als irgendwer unter den 87 Millionen Internetusern dastehen, als Illusion in einer surrenden Welt, als daß, als daß man sich mich eben vorstellt . oder eben auch nicht.


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