"Verschweigen" ist so eine Sache für sich ...


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Posted by Richard West on August 06, 1998 at 04:37:47:

In Reply to: Re: Papierkorb oder nicht Papierkorb? posted by biggy on August 04, 1998 at 12:05:51:

Biggy, sollte ich jemals ein Elaborat verfassen müssen, das beschreibt, wie ich mir die Welt und die Menschen vorstelle, werde ich Dich als allererstes bitten, diesen Beitrag für mich zu schreiben. Das kannst Du !
Nur ist diese Art kritischer Konsum von Medien eben nicht die Norm, sondern eher das Gegenteil ("Ich weiss es genau, weil ich es in der Zeitung gelesen habe"). Es ist ein Riesenfehler, die Masse für dumm zu halten.
Es ist ein ebenso grosser Fehler, die 3 Prozent gleich 100 zu setzen. Vier Millionen Leser pro Tag zu erreichen, ist mit einer FAZ nicht zu machen und auch mit der Süddeutschen nicht. Dazu braucht es das, was ich
immer besonders respektvoll "Arsch&Titten-Journalismus" nenne. Das namentliche Beispiel kann ich mir sicher sparen.

Verschweigen ist nicht immer und in jedem Fall negativ. Jedenfalls nicht in der materie, die uns hier beschäftigt. Weil das die falsche Definition ist. Wenn ich ein Magazin redaktionell zusammenstelle, hab ich jedesmal etwa
doppelt so viel Text, wie maximal hineinpasst. Davon landet also logischerweise die Hälfte in Ablage F. Die Selektion alleine macht schon "Verschweigen" unvermeidlich (Du kannst gern auch "Verschweigen" durch "Manipulation"
ersetzen). Da die Negativmeldung fast in jedem Fall so viel spektakulärer ist als die positive Notiz, liegt auf der hand, wie Medien gemacht werden. Eine Tageszeitung beschreibt das ganz normale Leben in einer Stadt, habe ich mal
bei einer Podiumsdiskussion erklärt - mit einem Unterschied zur Realität: Die schlechten Nachrichten liegen um etwa 1000 Prozent zu hoch!

Irgendwann erzähle ich Dir mal meine Erfahrungen bei einer seriösen Nachrichtenagentur (ddp) - das würde jetzt viel zu weit führen -, dann wirst Du verstehen, wie wenig Du trauen darfst, wie sehr man überprüfen muss, bevor
man auch nur irgendwas wiederkäut, wie oft Redakteure selbst angesehener und angeblich neutraler Medien dazu vergewaltigt werden, Zeilen mit Halbwahrheiten oder - noch schlimmer - selbst inszenierten Wahrheiten zu
füllen, wenn sie nicht wirklich Häkelbücher schreiben wollen für den Rest ihres Lebens. Es ist schlimm, Biggy, gaaaaaanz schlimm!!!

Wer eine Hakenkreuz-Schmiererei weglässt und statt dessen über ein Hilfsprojekt in Peru berichtet (berichten KANN!!!), hat meinen vollen Respekt und mein absolutes Einverständnis. Nun muss er dann nur noch seinen Chefredakteur
überzeugen ... und das ist fast unmöglich! :-(((


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